Michael Endes Protagonisten sind meistens Kinder, obwohl und gerade weil er seine Bücher auch für Erwachsene schrieb. Seine Bücher wurden in einem Kinderbuchverlag aufgelegt. Anders als viele Zeitgenossen sah er keinen tief greifenden Unterschied zwischen Literatur für Kinder und der für Erwachsene. Auch die Romantik wandte sich gegen die Ansicht, dass Kinderliteratur leichtere Kost sein solle als die für Erwachsene: E.T.A. Hoffmann lässt Lothar in den Serapionsbrüdern das Märchen Nußknacker und Mäusekönig gegen diesen Vorwurf verteidigen:
„Es ist meines Bedünkens ein großer Irrtum, wenn man glaubt, dass lebhafte, phantasiereicher Kinder, von denen hier nur die Rede sein kann, sich mit inhaltsleeren Faseleien, wie sie oft unter dem Namen Märchen vorkommen, begnügen.“
Ähnlich sah es auch Michael Ende:
Ich schreibe überhaupt nicht für Kinder. So wenig, wie Marc Chagall für Kinder malt, obwohl seine Malerei oft »kindlich« aussieht. Ich schreibe für »das Kind in uns allen«, das schöpferisch ist und fähig, Schicksal zu erleben – wofür sonst lohnte es sich, zu schreiben? Und worüber sonst?
– Michael Ende
Das Kindliche im erwachsenen Menschen, so schrieb Ende in einem Brief an einen Leser, dürfe eigentlich niemals überwunden werden: Denn es stehe für das Ansprechbare, Spontane, Entwicklungsfähige, das nichts mit infantilem Verhalten gemeinsam habe. Kinder begreifen die Welt noch als ein Wunder, staunen über Kleinigkeiten. In Michael Endes Büchern treten immer wieder Figuren auf, die diese Kindlichkeit idealtypisch verkörpern, wie die Kindliche Kaiserin oder auch Momo. Momo, schrieb Michael Ende demselben Leser, sei eigentlich kein richtiges Kind, sondern das ewig Kindliche in allen Menschen. Dieses ewig Kindliche ist ein wichtiger Teil der Poetik von Michael Ende.
In einem prominenten literarischen Vorbild wird ebenfalls ein Kind zum Protagonisten und hinterfragt mit seiner subjektiven, rein aus dem Herzen stammenden und nicht durch Logik „verbogenen“ Wahrnehmung die Welt: Auch Saint Exupérys „Kleiner Prinz“ hat die Aussage „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Das trifft auch für Michael Endes Kindergestalten zu. Wie Momo reist auch Bastian in sein eigenes Inneres: Probleme kann man nicht logisch-rational, sondern nur auf dem Weg zum Wesentlichen, zu dem, was mit dem Herzen gesehen wird, angehen.
Auch in der deutschen Romantik, auf die sich Michael Ende immer wieder bezieht, spielen Kinder als Verkörperung menschlicher Unschuld und Natürlichkeit eine bedeutende Rolle. Die „Kleine Fabel“ von Novalis ist eben so wenig ein konkretes Kind wie Momo oder die Kindliche Kaiserin, sondern verkörpert das Kindliche an sich.
Bastian, der Held der Unendlichen Geschichte, unterscheidet sich von diesen allegorischen Kindergestalten: Er ist eine wirkliche Person, ein konkretes Kind, das sich im Laufe der Geschichte weiterentwickelt. Dass er Halbwaise ist, ist allerdings ein Topos, der nicht nur für Michael Endes Geschichten, sondern auch viele andere Kinder- und Jugendbücher charakteristisch ist. Auch Atréju hat keine Familie, sein Name bedeutet „der Sohn aller“.