Die unendliche Geschichte

Die Geschichte zu diesem Buch ist beinahe selbst eine unendliche Geschichte. Sie beginnt im Februar des Jahres 1977. Hansjörg Weitbrecht, wieder einmal zu Besuch bei seinem Autor in Genzano di Roma, ermahnt Michael Ende, wie es die Pflicht aller Verleger ist, es werde wieder höchste Zeit, dass er ein neues Buch schreibe. Michael Ende kramt daraufhin in einem alten Schuhkarton und legt einige Zettel vor, auf denen Bucheinfälle notiert sind, unter anderem: "Ein Junge gerät beim Lesen einer Geschichte buchstäblich in die Geschichte hinein und findet nur schwer wieder heraus." Der Plan findet die Zustimmung des Verlegers, und Michael Ende verspricht, das Manuskript des Buches bis Weihnachten abzuliefern, da es sich ja um einen leichten und kurzen Stoff handle. Es werde nicht ganz einfach sein, so noch damals die Bedenken des Autors, mit dieser Geschichte einen Umfang von über 100 Seiten zu erreichen.

Der Stoff explodiert Michael Ende buchstäblich unter den Händen. Es dauert nicht lange, da meldet er sich bei seinem Verleger telefonisch in Stuttgart: Es werde nun doch einige Monate länger dauern mit dem Buch, und außerdem werde es etwas umfangreicher als gedacht - keine Sorge aber, das Buch könne im Herbst 1979 erscheinen.
In der Folgezeit wird es immer stiller um Michael Ende, immer spärlicher kommen Nachrichten aus Genzano. Im Herbst 1978 ruft Michael Ende wieder in Stuttgart an. Bastian, so teilt er mit, weigert sich aufs Entschiedenste, Phantásien zu verlassen. Es bleibe ihm nichts anderes übrig, als ihn auf seiner langen Reise weiter zu begleiten. Und überhaupt handele es sich um kein normales Buch mehr. Es müsse wie ein richtiges Zauberbuch gestaltet werden: ein Ledereinband mit Perlmutt und Messingknöpfen. Blitzartig reist der Verleger wieder nach Italien: Nach langem Hin und Her einigt man sich auf einen Seideneinband, zweifarbigen Druck, 24 Buchstaben-Vignetten und darauf, dass Roswitha Quadflieg mit der Ausstattung beauftragt werden solle. Beunruhigt über die stark erhöhten Herstellkosten des geplanten Buches reist Hansjörg Weitbrecht wieder nach Stuttgart zurück.

Das Ringen des Autors mit der von ihm erfundenen Wirklichkeit wird immer dramatischer. Seine Anrufe bei dem Verleger klingen zunehmend verzweifelt, er kämpft buchstäblich um seine künstlerische Existenz. Es gelingt ihm nicht, das Rätsel von Phantásien zu knacken und Bastian in die Realität zurückzuführen. Schließlich scheinen sich auch noch die Verhältnisse gegen Michael Ende zu verschwören: Der Winter 78/79 ist einer der kältesten seit Menschengedenken. Es schneit, und das Thermometer fällt unter minus zehn Grad. Kein Haus in den Albaner Bergen ist für solche Temperaturen eingerichtet, auch die Casa Liocorno nicht. Wasserleitungen frieren ein, ein Rohr platzt, das Haus steht unter Wasser. In feuchte Decken eingehüllt, sitzt Michael Ende in einem klammen, sich langsam mit Schimmel überziehenden Haus und schreibt an der Unendlichen Geschichte. In dieser extremen Situation findet er die Lösung: Auryn, das Medaillon selbst, ist der Ausgang aus Phantásien. Wieder einmal hat Die unendliche Geschichte sich als ein Zauberbuch herausgestellt.

In Veranstaltungen und Interviews wird Michael Ende immer wieder gefragt, welchen Sinn er in seinen Roman tatsächlich hineingelegt habe. Michael Ende will das Buch aber nicht selbst interpretieren. Auf die zahlreichen Anfragen nach der wirklichen Bedeutung der Unendlichen Geschichte verweigert er standhaft jede Antwort. Seiner Überzeugung nach gibt es keinen richtigen Schlüssel, den man billig vom Autor erhalten könne. Viele Leser wollen wenigstens wissen, ob ihre Interpretationen zutreffen, doch auch sie dürfen nicht mit der von ihnen erwarteten Antwort rechnen: Falls die Interpretation gut sei, so der Autor, sei sie auch richtig - auch wenn sie sich völlig von dem unterscheide, was er sich beim Schreiben gedacht habe.

Eine kurze Äußerung über das Anliegen seines Romans gibt es allerdings von ihm: "Das ist nämlich die Geschichte eines Jungen, der seine Innenwelt, also seine mythische Welt, verliert in dieser einen Nacht der Krise, einer Lebenskrise, sie löst sich in Nichts auf, und er muss hineinspringen in dieses Nichts, das müssen wir Europäer nämlich auch tun. Es ist uns gelungen, alle Werte aufzulösen, und nun müssen wir hineinspringen, und nur, indem wir den Mut haben, dort hineinzuspringen in dieses Nichts, können wir die eigensten, innersten schöpferischen Kräfte wiedererwecken und ein neues Phantásien, d.h. eine neue Wertewelt aufbauen". Nach knapp drei Jahren Arbeit erscheint 1979 im K.Thienemanns Verlag Die unendliche Geschichte, die Michael Endes internationalen Ruhm begründet. Die erste Auflage ist sofort verkauft. Im selben Jahr wird Michael Ende für den Roman mit dem Buxtehuder Bullen ausgezeichnet. Zu seinem 50. Geburtstag veröffentlicht der K.Thienemanns Verlag eine Festschrift.

Am 22. Juni 1980 erscheint in Der Spiegel eine große Besprechung von Die unendliche Geschichte und ihrem bisherigen Erfolg. Der Artikel wie auch die Platzierung des Romans auf der deutschen Bestsellerliste lösen einen Schneeballeffekt aus, da die große Leserschaft jetzt erst richtig neugierig auf den Roman wird.
Für Die unendliche Geschichte erhält Michael Ende in diesem Jahr den Preis der Leseratten des ZDF wie auch den Wilhelm-Hauff-Preis zur Förderung von Kinder- und Jugendliteratur. Im gleichen Jahr wird er zudem mit dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendbuchliteratur Volkach ausgezeichnet.